Von Büffeln über die Reisernte gezogen

Earrakote – Wohnen in einer Stammesfamilie

Die letzten beiden Tage in einer Stammes-Gastfamilie waren ein echtes Highlight – obwohl ich mein Nachtlager mit einem Kampfhahn teilen musste.



 

In Jagdalpur hatte ich Kontakt zu einem Führer namens Awesh aufgenommen, um die Stammesgebiete rund um Jagdalpur sehen zu können. Awesh kennt Hinz und Kunz in den Dörfern und kann Homestays bei Familien dort organisieren. Letzten Monat in Nepal war mein mehrtägiger Fußmarsch durch die abgelegenen Chepang Dörfer eines meiner persönlichen Highlights in diesem Land, deshalb hatte ich im Kopf, etwas ähnliches hier in den Stammesgebieten zu erleben.

Hochburg der maoistischen Guerilla

Ich musste aber bald einsehen, dass ich hier weder auf eigene Faust ohne Führer aufbrechen, noch mit Führer zu Fuß von Dorf zu Dorf tingeln kann. Die Gegend ist eine Hochburg der Naxel Rebellen, eine dick bewaffnete maoistische Guerilla Organisation, in deren Gewehrläufe ich ungern unterwegs blicken wollte. Awesh ließ sich von mir unterschreiben, dass ich aus freien Stücken und auf eigene Gefahr in die Gegend will, dann brachen wir vorgestern Morgen auf seinem Motorrad auf.

Haus meiner Gastfamilie in Earrakote
Haus meiner Gastfamilie in Earrakote

Die Fahrt dauerte nicht lange, nach 25 Kilometern erreichten wir Earrakote, ein Dorf mit ein paar hundert Einwohnern, die verschiedenen Stämmen angehören. Awesh stellte mir die Gastfamilie vor, in der ich für zwei Tage wohnen sollte. Die Familie lebt vom Kunsthandwerk, das auf den regelmäßig stattfindenden Stammesmärkten verkauft wird. Obwohl Earrakote gar nicht so weit von Jagdalpur entfernt liegt, merkte ich schnell, dass ich in einer völlig anderen Welt angekommen war. Mein Führer Awesh fuhr zurück nach Jagdalpur und wollte am nächsten Tag wieder kommen.

Mit offenem Mund angestarrt

Auf einem kleinen Spaziergang durch Earrakote und ins Nachbardorf merkte ich, dass ich als Ausländer wohl eine seltene Erscheinung im Ort war. Ich wurde überall, wo ich auftauchte, mit großen Augen und manchmal sogar offenem Mund angestarrt. Ich hatte mir von Awesh noch ein paar Sätze auf Halbi, der lokalen Stammessprache, mit auf den Weg geben lassen. Sobald ich die zum Besten gab, verwandelte sich der skeptische Blick meines Gegenübers meist schnell in ein Lächeln.

Meine Gastfamilie beim kunsthandwerken
Meine Gastfamilie beim kunsthandwerken
Meine Gastgeberin in ihrer Küche
Meine Gastgeberin in ihrer Küche

Meine Gastfamilie nahm mich supernett auf, obwohl fast niemand von ihnen Englisch konnte. Nur der Sohn Dinesh und sein Onkel Jairam konnten ein paar Brocken. Ich wiederum ließ mir so viele Wörter auf Halbi beibringen, wie ich mir in der kurzen Zeit merken konnte. So kommunizierten wir in den nächsten beiden Tagen mit nicht mehr als 100 – 200 Wörtern, ansonsten mit Händen und Füßen. Dinesh wollte alles mögliche über Deutschland wissen: Ob dort Reis wächst, ob man sich auch am Brunnen waschen würde und ob es Hahnenkämpfe gibt. Ich wiederum ließ mir alles mögliche über das Dorfleben erklären, so dass uns nie der Gesprächsstoff ausging.

Dinesh mit seinem Kampfhahn
Dinesh mit seinem Kampfhahn

Nachtlager mit einem Kampfhahn

Ich verbrachte wunderbare zwei Tage in Earrakote, obwohl ich auf viele Annehmlichkeiten verzichten musste. Als Klo dienten die Felder hinter dem Dorf und fließendes Wasser gab es nicht. Mein Schlafplatz war der Boden in der Küche, die ich außer mit Dinesh und seinem Vater noch mit seinem Kampfhahn teilen musste, der die ganze Nacht lang stündlich aus vollem Halse krähte. Aber das alles spielte keine Rolle, es gab einfach diese vielen kleinen und großen Momente, die die zwei Tage bei dieser Familie zu etwas ganz Besonderem machten.

Vom Büffel über die Reisernte gezogen
Vom Büffel über die Reisernte gezogen
Die gesamte Gastfamilie und ich
Die gesamte Gastfamilie und ich

Zum Beispiel als sich die Urgroßmutter, mit der ich kein Wort sprechen konnte und von der niemand genau weiß, wie alt sie eigentlich ist, abends neben mich setzte und mich mit dem liebsten Lächeln der Welt anschaute, als ob sie meine eigene wäre. Oder ich auf der Reismühle saß, die von zwei Büffeln über die Ernte gezogen wurde. Oder als ich morgens aufwachte und die acht Küken begrüßte, die in diesem Moment frisch aus ihren Eierschalen schlüpften.

Aufgeregte Kinder in Earrakote

Die Dorfkinder, die ich traf, waren am Anfang so aufgeregt, dass sie fast hyperventilierten, wenn ich ihnen zuwinkte. Nach einer Weile merkten sie aber, dass ich kein Menschenfresser war, trauten sich bald in meine Nähe und waren unbeschreiblich glücklich, als ich mit ihnen Ball spielte und irgendwelche dämlichen Faxen machte.

Kinder aus Earrakote
Kinder aus Earrakote

Heute Morgen verabschiedete ich mich von Earrakote und der Familie. Ich habe sie wirklich in mein Herz geschlossen und sie mich vielleicht auch ein kleines bisschen. Ich hoffe eines Tages wieder zu kommen und bei dieser Familie vorbei zu schauen.

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