Als im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion zwischen 1990 und 1992 Moldawien seine Unabhängigkeit erlangte, spaltete sich der überwiegend von Russen bewohnte östliche Landstreifen Transnistrien ab. Moldawien akzeptierte die Abspaltung nicht und griff Transnistrien 1992 mit Unterstützung von Rumänien an. Transnistrien wurde von Russland militärisch unterstützt und konnte nicht eingenommen werden. Nach fast fünf Monaten Bürgerkrieg mit über 1000 Toten kam es zu einem Waffenstillstandsabkommen. Bis heute wird Transnistrien von keinem Staat außer sich selbst anerkannt, allerdings hat Russland seine 14. Armee dort stationiert und damit Fakten geschaffen.
Vor ein paar Jahren hatte mir mal jemand im Zug von Budapest nach Berlin von Transnistrien erzählt, war total interessant ich hätte aber nie gedacht, dort mal vorbei zu kommen. Wo wir aber nun aber schon mal vor der Tür standen, haben wir uns heute Morgen Richtung Tiraspol aufgemacht, der „Hauptstadt“ Transnistriens. Wir wussten nicht so recht, was uns erwarten würde, aber als wir an ein Zollhäuschen kamen und zwei moldawischen Polizisten unsere Pässe zeigen mussten, war klar, dass das mit der „Landesgrenze“ ernst gemeint war.
Und das war erst der Anfang, denn hinter der nächsten Kurve war die Straße mit Krähenfüßen versperrt und unsere Pässe wurden von zwei transnistrischen Uniformierten gecheckt. Einer von ihnen hatte gesehen, dass ich aus dem Auto heraus fotografiert hatte. Das gefiel ihm gar nicht und ich musste das Foto vor seinen Augen löschen.
Doch das waren alles erst Vorposten, hinter der nächsten Kurve erreichten wir die tatsächliche Grenze. Man sprach dort nur noch russisch, aber mit etwas dämlich gucken und „Turisti, Turisti!“ konnten wir ganz gut verständlich machen, dass wir keine Ahnung hatten, wie die Einreise funktionierte. Man schicke uns zuerst zu einem Kabuff, an dem ein Typ in Militäruniform unsere Pässe kopierte und einige Fragen auf Russisch stellte, die wir allerdings nur mit einem Achselzucken beantworten konnten. Auf seiner Brust waren die kyrillischen Buchstaben „KGB“ zu lesen und mit „Turisti, Turisti!“ kamen wir auch hier ganz gut durch.
Dann wurden wir aufgefordert, das Schnauferle etwas beiseite zu fahren und mit ins Grenzgebäude zu kommen. Johannes sollte mit einem weiteren uniformierten Typen alleine in einem Büro bleiben, ich mich währenddessen in eine Schlange stellen. Als ich an der Reihe war, drückte man mir ein Formular in die Hand, das ich ausfüllen sollte. Nach weiteren unbeantwortbaren russischen Fragen bekam tatsächlich die Immigrationskarte, die es erlaubte, für 24 Stunden in Transnistrien zu bleiben.
Ich ging zurück zu dem Büro, in dem Johannes mit dem Uniformierten verschwunden war und fragte mich, ob er nun geteert und gefedert an der Decke hängen würde. Tat er aber nicht, sondern er musste dort die Einfuhrerlaubnis für das Schnauferle organisieren. Das war ein noch komplizierteres Unterfangen als die Erlangung des Immigrationsscheins, denn ich sah, wie er ein sehr längliches Pamphlet ausfüllte. Es dauerte, dauerte und dauerte, kostete 15 Euro und irgendwann gab man ihm endlich ein sehr amtlich aussehendes Dokument in die Hand, das es erlaubte, mit dem Schnauferle über die Grenze zu fahren. Danach blühte Johannes noch mal das Prozedere, das ich bereits hinter mich gebracht hatte, um die Immigrationserlaubnis für sich selbst zu erhalten. Als das geschafft war, konnten wir nach 90 langen Minuten endlich die „Grenze“ überqueren.
Und nun waren wir drin in dem Land, das es eigentlich nicht gibt. Die Grenzüberquerung war ein echtes Abenteuer, so muss es sich früher ungefähr angefühlt haben, aus der BRD in die DDR einzureisen, nie so genau wissend, was an der Grenze passieren würde. Wir erreichten bald Tiraspol, schauten staunend aus dem Fenster und dachten nur: Surreal. Die Außenbezirke sind mit uralten Industrieanlagen umsäumt, die nach verfallener Sowjetunion aussehen, aber zum Teil noch in Betrieb zu sein scheinen. Das Stadtzentrum strotzt vor altkommunistischer Symbolik, im Zentrum ist ein Denkmal mit den Gräbern der im Bürgerkrieg gefallenen Soldaten errichtet, wo Transnistrien seinen Heldenmythos pflegt. Und vor dem Parlament ragt eine übergroße Lenin-Statue in den Himmel empor. Als ich ein Foto machen wollte, wurde ich wieder von Soldaten zurecht gewiesen, denn das war anscheinend auch verboten. Habe aber trotzdem unbemerkt eins hingekriegt.
Mit der Grenzüberquerung waren unsere Herausforderungen des Tages aber noch nicht beendet. Um länger als 24 Stunden im „Land“ bleiben zu dürfen, muss man sich in Tiraspol in einem weiteren Büro registrieren. Es dauerte eine Ewigkeit, dieses zu finden, denn niemand sprach Englisch und besonders hilfsbereit schienen die Transnistrier auch nicht zu sein. Man schickte uns in verschiedene Richtungen, wir irrten ewig umher und als wir das Büro endlich fanden, war es schon zu spät und man sagte uns, wir sollten morgen wieder kommen.
Die nächste Herausforderung war die Geldbeschaffung. Was wir nicht gewusst hatten: Transnistrien hat eine eigene Währung, den Transnistrischen Rubel. Der ist nur eingeschränkt konvertierbar, so dass wir dafür mit unseren Kreditkarten nichts anfangen konnten. Zum Glück fanden wir einen Geldautomaten, der auch Dollars ausspuckte, die wir dann in einer Wechselstube in transnistrische Rubel tauschen konnten.
Inzwischen war es Abend, wir hatten einen Stellplatz für das Schnauferle in einer Seitenstraße gefunden und konnten nun endlich ein wenig entspannen. Johannes legte sich ans Flussufer des Dniestr, wo bei über 30 Grad die Hölle los war, ich steunte ein wenig durch die Innenstadt und ließ Lenin und transnistrischen Nationalkult auf mich wirken.
Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus, kann mich einfach nur umschauen und alles anstarren. Die transnistrische Flagge auf dem Parlamentsgebäude, das Partyschiff auf dem Dniestr, das mit lauter russischer Musik auf und ab fährt, die Väter, die ihre Kinder in ferngesteuerte Buggys setzen und damit durch den Park kutschieren, die Verkäuferinnen, die einen anschnauzen, wenn sie merken, dass man kein russisch spricht. Alles ist eigenartig, ziemlich befremdlich und deshalb richtig interessant.
Gleich wird es dunkel, wir werden uns wohl einen ruhigen Abend machen und bald ins Schnauferle verkriechen.
Manches in diesem Artikel entspricht nicht meinen persönlichen Erfahrungen, insbesondere finde ich die „normale“ Bevölkerung dieses Pseudostaates nett und gastfreundlich, und mit jüngeren Leuten kann man oft englisch kommunizieren! Vielleicht gilt hier der alte Spruch, dass es so aus dem Wald herausschallt, wie man hineinruft?